Attentat auf Richard Nixon

The Downward Spiral

1974 ist ein Jahr der Krisen für die Vereinigten Staaten: Die Ölkrise, die Watergate-Affäre, die Nachwirkungen des Vietnam-Kriegs, Rassenunruhen. 1974 ist auch ein Jahr der Krisen für Sam Bicke (Sean Penn, „21 Gramm“, „Mystic River“): Seine Ehe ist zerbrochen, sein Job ist ihm zuwider und zunehmend macht ihm die Gesellschaft zu schaffen. Immer wieder spricht er seine Gedanken auf Band. So bespricht Sam unzählige Bänder, die er Leonard Bernstein senden wird, der für ihn das einzig gebliebene Symbol für Reinheit ist.

Das Drama „Attentat auf Richard Nixon“ zeigt die Geschichte eines durchschnittlichen Mannes, dessen Leben mehr und mehr aus den Fugen gerät und ein unausweichliches Ende finden muss (indiziert wird dies bereits durch die erste Kamerafahrt). Die steigende Frustration über die eigene Unfähigkeit, sich mit der Wirklichkeit und ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten zu arrangieren, wird in seinen Augen zu den Fehlern anderer, aller, der ganzen Gesellschaft. Die Eckdaten der Geschichte des Scheiterns der Person Sam Bicke basieren auf Tatsachen: Die Grundzüge der Story stellen die wahre Geschichte von Samuel Byck (die Namensänderung in „Bicke“ kommt nicht von ungefähr, denn ähnliche Wesenszüge und Motive der Figur des Travis Bickle (Robert De Niro) aus „Taxi Driver“ sind durchaus vorhanden) nach, der im Jahre 1974 einen Anschlag auf den damaligen US-Präsidenten Richard Nixon verüben wollte. Sein Plan war es, ein Flugzeug zu entführen und es in das Weiße Haus stürzen zu lassen.

Sean Penn spielt Sam Bicke mit einer brillanten Intensität zwischen Aufrichtigkeit, Zorn, Unverständnis, Aufbegehren und Verzweiflung. Sam lebt getrennt von seiner Frau (Naomi Watts, „Mulholland Drive“, „21 Gramm“, „The International“) und seinen Kindern, kann sich aber damit nicht abfinden und versucht notorisch, immer wieder Kontakt mit ihr aufzunehmen. Schließlich klammert er sich hilflos an den Familienhund und sucht zumindest hier Zuneigung. Die Verbindung zu seiner Familie wird schließlich durch den Eingang der Scheidungsurkunde endgültig gekappt. Sams Verzweiflung zeigt darüber wird während eines gemeinsamen Abendessens bei der Familie seines Freundes Bonny (Don Cheadle, „Hotel Ruanda“, „L.A. Crash“, „The Guard“) deutlich, als seine Trauer über den Verlust seiner Kinder in einer verzweifelten Umarmung von Bonnys Sohn gipfelt. Stück für Stück reißen auch die anderen Stricke zur Realität ab, als Sam seinen Job als Möbelverkäufer, den er unerträglich findet, da er Kunden fortwährend belügen muss, aufgibt, um sich zusammen mit seinem Freund selbstständig zu machen. Der Plan zur Selbstständigkeit wiederum schlägt fehl, als die Bank den notwendigen Startkredit nicht bewilligt. In einer erneut nahe gehend absurden Szene versucht Sam Bicke den Bankangestellten mit naiven Kinderzeichnungen mit Kreidestiften von seiner Unternehmung zu überzeugen.

Sams eigene Weltsicht aus richtig und falsch, wahr und unwahr führt ihn in der Abwärtsspirale gegen die Wand. Er sieht Ungerechtigkeit, wohin er blickt und kann diese nicht verarbeiten. Als ein Beispiel sei hier die Szene erwähnt, in der Bonny, von Beruf Automechaniker, relativ souverän die abwertenden Bemerkungen eines seiner Kunden ignoriert, während Sam die Szene in der Werkstatt verfolgt – mit einer Waffe auf den Kunden zielend. Er geht sogar so weit, den vorherrschenden Rassismus bekämpfen zu wollen, indem er in ein Propaganda-Büro der „Black Panthers“ geht, dort darum bittet, auch Weiße aufzunehmen und vorschlägt, den Namen „Zebras“ anzunehmen, da Zebras schwarz und weiß sind…

Als all seine Anstrengungen fehlschlagen, sucht Sam einen Schuldigen (nicht bei sich selbst!). Er findet ihn in Richard Nixon. Ihn sieht er als Personifizierung der Werte, die er verachtet. Mit dem Ende des Films erhält auch der Filmtitel eine zweite Bedeutung: Nimmt man zuerst – ohne den Film gesehen zu haben – an, es handele sich um einen „klassischen“ Attentats-Thriller wie etwa „Der Schakal“, wird nun klar, dass Sam Bicke mit seinem Attentat-Versuch seiner größten Selbst-Täuschung und Selbst-Betrug erlegen ist. Er wird beim Versuch, das Flugzeug in seine Gewalt zu bringen, von einem Flughafen-Polizisten niedergeschossen und erschießt sich selbst.

Was ist die Botschaft des Films? Worum es zumindest nicht geht, sind Unterstützung oder Kritik der Motive der Hauptfigur. Wenn der Film eins sein will, ist es eine Charakterstudie. Angesiedelt zwischen der Konsequenz von „Falling Down“, der Tragik von „Tod eines Handlungsreisenden“ und der Provokation des bereits erwähnten „Taxi Driver“ ist „Attentat auf Richard Nixon“ ein unverklärter und authentischer Ausschnitt aus dem Gefühlsleben der Hauptfigur.